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Kreuzbandriss ohne OP – einfach so möglich?

    Sportler hält sich sein Knie nach Kreuzbandriss

    Kann ein Kreuzbandriss ohne OP heilen? Ist nach einem Kreuzbandriss eine OP unabdingbar?

    In diesem Artikel möchte ich Dir einen Überblick verschaffen, was die aktuellste Forschung dazu sagt und welche Möglichkeiten Du für Dich in Erwägung ziehen kannst. Eine Studie über die konservative Behandlung, die ich Dir später vorstelle, hat sogar die Fachwelt komplett überrascht.

    Kreuzbandriss ohne OP? Oder doch die Operation?

    „OP oder Nicht-OP, das ist hier die Frage.“

    William Shakespeare (wahrscheinlich!)

    Ich möchte nicht in Deiner Haut stecken – ich gehe davon aus, wenn Du diese Zeilen liest, hast Du Dir das vordere Kreuzband gerissen und stellst Dir diese Frage. Diese Entscheidung ist etwas höchst Individuelles und sollte mit dem behandelnden Orthopäden oder Chirurgen zusammen gefällt werden. Allerdings kann auch eine Zweitmeinung für Dich Sinn machen, wenn Du Dich zu sehr überwältigt fühlst.

    Bei der Entscheidungsfindung ob eine Operation des vorderen Kreuzbandes notwendig ist oder nicht sollten Deine persönlichen Umstände bewertet werden, ebenso Deine sportliche Aktivitäten und Ambitionen, Deine aktuelle Gesundheit und persönliche Ziele.

    Es gibt verschiedene Ansätze für die Behandlung eines Kreuzbandrisses, und sie reichen von einer verzögerten Operation über eine gänzlich nicht-operative Therapie bis hin zu innovativen Protokollen wie dem Cross Bracing Protocol, das jüngst Aufmerksamkeit erregt hat.

    Jede dieser Optionen hat ihre eigenen Vor- und Nachteile. Lass uns einen genaueren Blick auf jede dieser Möglichkeiten werfen – um Dir die Informationen zu geben, damit Du die am besten geeignete Entscheidung für Dich und Dein Knie treffen kannst.

    Möglichkeiten ohne Kreuzband-OP

    Verzögerte Operation nach Kreuzbandriss

    Klassischer Weise wird ca. 5 Wochen nach Verletzung eine Operation am Knie durchgeführt (wenn die Verletzung nicht in einem Skigebiet passiert ist oder es um einen Profisportler mit anderem Zugang zur medizinischen Betreuung geht). Diese 5 Wochen sind meist ausreichend, damit sich das Knie nach dem Unfall wieder beruhigen, der erste Heilungsprozess abgelaufen kann und so eine komplikationsärmere Operation möglich wird.

    Neue Studien legen aber nahe, dass diese Zeit auch durchaus heraus gezögert werden kann oder sogar sollte.1 Das heißt nach der ersten Ruhephase werden Übungen im Zuge einer Vorbereitung (Preha) absolviert und das Bein wieder gekräftigt (ein Beispiel ist das sogenannte Eitzen-Protokoll zur OP Vorbereitung). So besteht für den Patienten die Möglichkeit auch ohne OP zurecht zu kommen oder aber bei entsprechender Indikation das Knie dann doch zu operieren. Doch durch das Kräftigungsprogramm ist meist das Ergebnis der OP besser.2

    Für diesen Prozess sollte man sich aber durchaus 3 Monate Zeit lassen um zu sehen, ob das Knie konservativ behandelt werden kann. Selbst bei Begleitverletzungen wie Meniskusrissen oder Innenbandschädigungen kann man das vordere Kreuzband auch unangetastet lassen und arthroskopisch die weiteren Verletzungen behandeln.

    Dann aber doch eher zu einer OP tendiert man, wenn das Knie weiterhin im Alltag instabil wirkt und „weg knickt“ oder aber der Plan besteht wieder bestimmte Risikosportarten auszuführen (Sportarten mit schnellen Richtungswechseln, stärkerem Gegnerkontakt). Aber auch Alter, anatomische Gegebenheiten oder eben genannte Begleitverletzungen spielen dabei eine Rolle.

    Mein Lieblingsbeispiel aus der eigenen Praxis war ein Patient, der sich über ein Jahr vor der Operation seinen Riss am vorderen Kreuzband zugezogen hatte, dieser aber nicht diagnostiziert wurde (u.a. kein MRT). Durch die Beschwerden ging der Spaß am Mannschaftssport verloren, er wechselte zum Krafttraining und konnte einen beachtlichen Kraftzuwachs verbuchen.

    Als er dann wieder mal Basketball spielte und dabei ein Instabilitätsgefühl im Knie hatte, ging er erneut zum Arzt. Dieses Mal mit der richtigen Diagnose Kreuzbandriss und er ließ sich daraufhin am Kniegelenk operieren. Die anschließende Reha bei mir in der Praxis war beeindruckend – meistens musste man ihn eher bremsen, da er sehr früh die verschiedenen Teilziele der Reha erreichen konnte und sehr schnell wieder fit war!

    Komplett konservativ: Kreuzbandriss ohne Operation

    Sollten die oben genannten Probleme wie das Instabilitätsgefühl ausbleiben und der Patient sich bewusst sein, dass für ein stabiles Knie auf Dauer Übungen und Training absolviert werden müssen, kann ein Kreuzbandriss ohne OP auch längerfristig ein Erfolg sein.

    Eine neue Studie zeigt beispielsweise bei dieser Herangehensweise das geringste Risiko für Arthrose im Vergleich zu operierten Patienten (zeitnah oder verzögert). Die Kehrseite der Medaille war, dass die Funktion des Knies im Alltag etwas schlechter war, als bei der Vergleichsgruppe. In der vorangegangenen Studie nach 5 Jahren war dieser Effekt noch nicht so ausgeprägt3 wie in der Studie nach 11 Jahren.4

    Eine Fallstudie im Fußball aus der englischen Premier League war 2015 spannend – ein Spieler feierte sein Comeback nach dem Kreuzbandriss ohne OP nach sage und schreibe 8 Wochen.5 Dabei sollte man aber bedenken, dass dieser Spieler top trainiert war, dementsprechende Betreuung hatte und der finanzielle Druck auf ein baldiges Comeback im Profisport nicht zu vernachlässigen ist.

    Interessanterweise sind bei mir in der Praxis Patienten, die einen konservativen Ansatz versuchen bzw. auch durchziehen Personen, denen eine OP, die Reha und die Einschränkungen danach nicht in ihren aktuellen Alltag passen. Sprich jemand muss sich um die Kinder kümmern oder eine wichtige Phase in der Ausbildung oder Studium steht an.

    Bei diesen Patienten war dann aber auch keine Rückkehr in eine Risikosportart geplant und auch die Umstände – also keine schlimmere Begleitverletzung (Meniskus, Innenband), kein Wegknicken im Alltag – waren günstig.

    Du siehst also, auch unter bestimmten Voraussetzungen ist dieser konservative Ansatz durchaus möglich und sinnvoll.

    Cross Bracing Protocol

    Eine sehr erfolgsversprechende Studie aus dem australischen Melbourne sorgte 2023 für Furore: durch das sogenannte Cross Bracing Protocol konnte bei 90% der Probanden das Kreuzband zum Heilen gebracht werden. Also ja. Ein Kreuzband kann von alleine heilen!6

    Das Cross Bracing Protocol fixiert bei Patienten mit bestimmten Voraussetzungen (Art des Risses, kaum Begleitverletzungen) das Knie für 4 Wochen im 90° Winkel mit einer handelsüblichen Schiene (Orthese). In den nächsten 8 Wochen wird Stück für Stück das Bewegungsausmaß weiter freigegeben und ebenfalls die Belastung gesteigert. Nach 12 Wochen kann also insgesamt ein Training aufgenommen werden und ebenfalls Heilungstendenzen im Kreuzband bei einem Großteil der Teilnehmer beobachtet werden.

    Allerdings ist weitere Forschung in diese Richtung notwendig um einerseits das Studienergebnis zu bestätigen und andererseits langfristige Folgen dieser Vorgehensweise sicher vorhersagen zu können.

    Diese Tatsache, die engmaschige Betreuung während des Heilungsverlaufs(!!) und dass die Studie aktuell nur in Australien größere Bekanntheit hat, macht es aktuell noch unwahrscheinlich diesen Ansatz im deutschsprachigen Raum wählen zu können.

    Noch!

    Der nächste Beitrag zum Training für die Rehabiliation ohne OP ist übrigens in Arbeit – wenn Du diesen nicht verpassen willst, solltest Du Dich für den HNL Kreuzband Newsletter eintragen, ich informiere Dich dann, wenn er online ist:

    Datenschutz*
     

    1. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7592749/ ↩︎
    2. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/20710097/ ↩︎
    3. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28515057/ ↩︎
    4. https://portal.findresearcher.sdu.dk/en/publications/treatment-for-acute-anterior-cruciate-ligament-tear-in-young-acti
      https://evidence.nejm.org/doi/pdf/10.1056/EVIDoa2200287 ↩︎
    5. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4422908/ ↩︎
    6. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37316199/ ↩︎